Düsseldorf - Sie hängen im Esszimmer, Schlafzimmer und manchmal sogar im Bad: Im Rheinland hüten besonders viele Kunstsammlerinnen und -sammler seit Jahrzehnten verborgene Schätze des mittlerweile 92-jährigen Malers Gerhard Richter. Der Kunstpalast in Düsseldorf präsentiert seltene und teils noch nie gezeigte Werke Richters aus rheinischen Privatsammlungen ab Donnerstag erstmals in einer großen Ausstellung.
Der Richter-Experte und Kurator Markus Heinzelmann hat zweieinhalb Jahre bei privaten Sammlern recherchiert, ihre Häuser betreten und Richter-Werke in den erstaunlichsten Räumen entdeckt. Viele Hüter der verborgenen Schätze konnte er überzeugen, ihre „Familienbilder“ vorübergehend dem Kunstpalast anzuvertrauen.
Richter und das Rheinland
Richters künstlerische Karriere ist eng mit dem Rheinland verwoben. Er flüchtete 1961 aus Dresden in den Westen und studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er später mehr als 20 Jahre als Professor lehrte. Das Rheinland wurde für den bereits in der DDR ausgebildeten Künstler zum Experimentierlabor und Ausgangspunkt seiner Karriere, die ihn zu einem der teuersten lebenden Maler werden ließ. Im Rheinland leben auch die größten Sammlerinnen und Sammler von Werken Richters - Privatpersonen und große Unternehmen.
Schon 1964 hatte Richter seine erste Einzelausstellung bei dem Düsseldorfer Galeristen Alfred Schmela. Der Sammler Peter Ludwig erwarb früh Richters Bilder. Ein Aachener Sammlerkreis kaufte Richter, weil er von der Systematik seines Werkverzeichnisses fasziniert war. Der Sammler Hans Grothe rief 1973 bei Richter an und bat ihn um eine Auswahl von zwölf Bildern.
Seit den 80er Jahren traten Firmen im großen Stil als Sammler auf - die damalige Victoria-Versicherung (heute Ergo) hat bis heute zwei monumentale Richter-Gemälde in ihrem Eingangsbereich - um die Ecke vom Kunstpalast. Und auch die Unternehmen Haniel, Henkel und Bayer statten ihre Firmenzentralen mit Richter-Bildern aus.
Die ganze Bandbreite des Werks
Teilweise sind die Sammler heute so betagt wie Richter selbst, teilweise sind sie jung, erzählt Heinzelmann. So kommt es, dass die Ausstellung mit mehr als 120 Arbeiten die ganze Bandbreite von Richters Werk umfasst - von den Anfängen in den frühen 1960er Jahren bis zu seinen letzten Gemälden, die 2017 das Atelier verließen.
Von mehr als 80 Gemälden sei etwa die Hälfte zuvor nie oder nur äußerst selten ausgestellt worden, sagt Heinzelmann, der Professor für Museale Praxis an der Ruhr-Uni Bochum ist. Dazu gehört auch eine Kartonröhre von 1965, die auch nur einmal 1965 gezeigt worden war. Der Besitzer hat die Röhre behutsam auf eine weiße Marmorstufe gesetzt. Auch das ist eine Besonderheit der Ausstellung. Die Werke kamen so, wie sie bei den Besitzern hängen - ohne Rahmen, mit Rahmen, manchmal mit doppeltem Rahmen oder hinter Glas.
„Die Leihgeber sind alle großartig, aber manche musste man ein bisschen überreden, sagt Heinzelmann. Er hat sich zu strikter Verschwiegenheit verpflichtet, wer sie sind. Fotokünstler Andreas Gursky war einer der wenigen, der seinen Namen als Sammler offenbarte und das Bild „Weinernte“ (1968) zur Verfügung stellte.
Von der Kuh bis zur Wolke
Das früheste Bild mit der Nummer 15 im Werkverzeichnis ist die schwarz-weiße „Kuh“, die Richter 1964 auf dem Rundgang der Kunstakademie präsentierte und die aus der Sammlung Grothe stammt. Damals entwickelte Richter die Technik, Fotovorlagen virtuos abzumalen und zu verwischen. Bei der „Kuh“ schob er humorvoll auch noch das Wort ins Bild, so dass es wirkt wie aus dem Lesebuch für Erstklässler.
Ganz untypisch für Richter erscheint eine farbenfrohe Wolkenstudie von 1970. Es gebe keine Literatur darüber, aber das Bild sei offensichtlich am Spätbarock und Engelsfiguren orientiert, sagt Heinzelmann. Wo es normalerweise hängt, verrät er natürlich nicht.
Richter im Bad
Genauso wenig gibt Heinzelmann preis, bei wem er ein kleines Richter-Bild im Bad entdeckt hat. Er glaube zwar nicht, dass in dem Raum heute noch gebadet werde. „Aber trotzdem war ich verblüfft.“ In einer anderen Wohnung hing über einem Bett im Schlafzimmer ein Richter.
Einmal kam Heinzelmann in ein Haus, wo ein großes Wolkenbild über dem Esszimmertisch hing. Die Familie habe zwar noch andere fantastische Bilder. „Aber das ist das zentrale Familienbild.“ Das Gemälde habe damit auch eine soziale Funktion. „Wenn sich die Familie an Weihnachten, zu Geburtstagen, zu Jubiläen trifft, dann sitzen sie unter diesem Bild zusammen.“
Richter hängt nicht nur bei Superreichen
Kunstpalast-Direktor Felix Krämer räumt mit der Vorstellung auf, dass nur sehr wohlhabende Leute Bilder von Gerhard Richter in ihren Wohnräumen hätten. „Also es sind auch ganz normale Menschen, die haben einen Gerhard Richter zu Hause, der vielleicht früh gekauft wurde“, sagt er. „Sie hängen im Esszimmer, sie hängen im Wohnzimmer, sie werden angeschaut und sie werden jetzt auch vermisst“, so der Museumsdirektor. „Diese Bilder sind im Prinzip ein bisschen wie Familie.“
Ein Bild wurde Heinzelmann erst kurz vor der Ausstellung angeboten: Das verwischte schwarz-weiße Bild einer Klopapier-Rolle. Doch es war zu spät und logistisch zu kompliziert, es noch in die Schau zu integrieren. „Dabei hängt das Bild nur wenige hundert Meter vom Kunstpalast entfernt.“
Richter selber war nach Worten Heinzelmanns angetan von der Ausstellung. Kürzlich habe er ihm den Ausstellungskatalog vorbeigebracht. „Den fand er ganz toll. Es sind natürlich alles Werke, die er kennt. Das sind jetzt keine Überraschungen.“